Das Verbleiben älterer Menschen im eigenen Zuhause
Schnelles demographisches Altern in den kommenden zehn Jahren.*
«[…]Zwischen 2020 und 2030 wird der Anteil derjenigen, die 65 Jahre oder älter sind, sehr stark ansteigen, um beinahe 30%. In der Tat wird im Laufe dieses Jahrzehnts die zahlenstärksten Generationen des Baby-Booms nach und nach in den dritten Lebensabschnitt eintreten. Zwischen 2018 und 2050 wird der Anstieg der Zahl der 65-jährigen und älteren ungefähr 70% betragen. Dieser Zuwachs von Personen im Rentenalter ist nicht nur auf den wachsenden Anteil der Personen von 65 Jahren oder mehr an der ständigen Wohnbevölkerung zurückzuführen, sondern auch auf den Anstieg der Lebenserwartung. Laut Referenzscenario wird es in der Schweiz bis 2050 2,7 Millionen Senioren im Alter von 65 Jahren oder darüber geben, verglichen mit 1,6 Millionen Ende 2019.[…]»
Das Verbleiben der älteren Menschen im eigenen Zuhause ist eine Priorität..
Mehrere Kantone haben den Verbleib der Senioren in den eigenen vier Wänden zur Priorität erklärt, damit so weit wie möglich die Unterbringung in einer medizinisch-sozialen Pflegeeinrichtung vermieden oder aufgeschoben werden kann. Das Verbleiben der älteren Menschen im eigenen Zuhause erfordert Anpassungen, die manchmal für die Vermieter oder die Familie zu kostspielig sind. Laut einer umfassenden, in der Schweiz durchgeführten Studie (Age Report IV: Habitat et vieillissement), kann man feststellen, dass mehr als 66% der Bewohner von medizinisch-sozialen Pflegeeinrichtungen (+80 Jahre) in der Romandie und mehr als 73% der Bewohner in der Deutschschweiz über ein Notrufsystem verfügen , im Vergleich zu den 12% (gewichtetes Mittel) der über 80-Jährigen, die noch im eigenen Heim wohnen.
Deshalb wünschen wir, die Hürden kennenzulernen und zu verstehen, denen die Senioren und ihre Begleitpersonen bei der Einrichtung einer sicheren Umgebung begegnen, damit dem Leben im eigenen Heim Vorrang eingeräumt werden kann. Der Verbleib im eigenen Zuhause erweist sich umso schwieriger, wenn die Person auch nur leichte kognitive Störungen hat**, aber der Verbleib für die Person essentiell sein kann, da die eigenen vier Wände für sie einen Kokon symbolisieren, der für sie entscheidende Bezugspunkte im Alltag bietet und es ihr ermöglicht, weiterhin „normal“ leben zu können.
Wir haben uns in eine Einrichtung begeben, die eingehende Kenntnisse von den Begrenzungen und Bedürfnissen der Personen hat, die von einer kognitiven Störung betroffenen sind und noch daheim wohnen.
Les Acacias: eine ambulante Betreuungseinrichtung.
Les Acacias ist eine ambulante Einrichtung, in der von kognitiven Störungen betroffene Personen betreut werden, damit ihr Verbleiben zu Hause so weit wie möglich verlängert werden kann, und zwar unter den besten Bedingungen.(http://www.foyerlesacacias.ch).
Diese Einrichtung liegt im Herzen von Martigny im Wallis. Das Wallis ist einer der Kantone, die das Verbleiben von älteren Menschen im eigenen Zuhause fördern (Gesundheitsförderung für Alle ab 60 – Strategische Ausrichtung des Kantons Wallis). Les Acacias ist ein Ort, der den Nutzern Sicherheit, Komfort und Geselligkeit bietet, und der gleichzeitig den begleitenden Familien eine Entlastung und eine alltägliche Unterstützung in der Betreuung der von diesen Störungen betroffenen Person ermöglicht.
Die Arbeit des Acacias-Teams erfolgt tagsüber und wird nur selten auf das Zuhause der Personen ausgedehnt. Aus diesem Grund haben wir uns die Frage gestellt: „Wie sieht die Begleitung zu Hause aus“?
Sehr herzlich wurden wir von Catherine Poidevin-Girard, ausgebildete Krankenschwester und Direktorin der Einrichtung Les Acacias, empfangen. Wir wollten uns über die Sicherheit der Senioren im eigenen Heim austauschen. Ziel war es zu verstehen, wo die Herausforderungen liegen, und welche Rolle wir hierbei als Leader im Schwesternruf in der Schweiz spielen können.
Ein manchmal gefährliches Leben in den eigenen vier Wänden.
Ältere Menschen mit kognitiven Störungen riskieren, mit fortschreitendem Alter verschiedene gesundheitliche Probleme zu bekommen (Herzbeschwerden, Schlaganfall, Gedächtnisverlust). Die Gefahr, dass man zu Hause stürzt, ist also erhöht, ebenso dass man vergisst, Nahrung zu sich zu nehmen, wenn man allein lebt.
Catherine Poidevin-Girard lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, dass es notwendig ist, die alleinlebende Person zu Hause „im Blick“ zu haben, damit die Einnahme der Mahlzeiten und der Medikamente korrekt erfolgt.
Egal, ob jemand allein lebt oder zusammen mit seiner Familie, so ist die Nacht der Zeitpunkt, der schwierig zu handhaben ist. Man muss sich im Dunkeln sicher bewegen können, und die Betreuenden müssen im Bedarfsfall alarmiert werden können. Catherine Poidevin-Girard betont, dass die Überwachung richtig dosiert sein muss, damit die Person fühlt, dass sie sich frei bewegen kann, und ihr gleichzeitig geholfen werden kann, falls Probleme auftreten, ohne dass die Familie und die Betreuenden ohne Grund mitten in der Nacht gestört werden.
Das Aufrechterhalten eines normalen Lebensrhythmus ermöglicht es der älteren Person, die von dieser Art von Pathologie betroffen ist, in einem vertrauten und sicheren Umfeld das Haus zu verlassen, so wie sie es gewohnt ist, was ihr Wohlbefinden und grundlegende Zufriedenheit gibt. Diese Ausflüge stellen gleichwohl ein Risiko dar, sollte es zu einer Desorientierung kommen, und falls im Sommer das Haus zu früh verlassen wird (Durcheinanderbringen der Uhrzeiten).
Das Zuhause unserer Senioren sicher machen.
Während die medizinisch-sozialen und die spezialisierten Einrichtungen voll und ganz ausgestattet sind, um das Weglaufen und die Betreuung von älteren Menschen zu handhaben, bestätigt Catherine Poidevin-Girard uns, dass von den 30% derjenigen, die Les Acacias besuchen und allein leben, nur sehr wenige über ein entsprechendes Sicherungssystem verfügen.
Das Alarmarmband (die verbreitetste Lösung) scheint nicht auszureichen um die Sicherheit der älteren Menschen daheim zu gewährleisten. Es kann sich als nützlich erweisen, wenn die Person bei Bewusstsein ist und Hilfe herbeirufen möchte, ihr Leben aber nicht in Gefahr ist. Im Fall einer Bewusstlosigkeit ist das Armband jedoch unwirksam, denn ohne ein Drücken auf die Haupttaste wird kein Hilferuf gesendet.
Wir haben uns ausgiebig mit Catherine Poidevin-Girard über die Absicherung der eigenen häuslichen Umgebung der Senioren ausgetauscht, und wir teilen dieselbe Feststellung: keine vollständige und einsatzbereite Sicherheitslösung war bei den alleinlebenden älteren Menschen in der Schweiz ein großer Erfolg. Warum? Catherine Poidevin-Girard erklärt uns, dass die Familien bereits ausreichend damit beschäftigt sind, ihre Angehörigen zu betreuen, um dann auch noch Recherchen anzustellen, und dass sie nicht die Kenntnisse besitzen um die eine Lösung mit der anderen vergleichen zu können. Der Preis ist manchmal auch ein Hemmnis.
Für das Finden einer passenden Lösung ist eine gemeinsame Überlegung notwendig.
Die von Catherine Poidevin-Girard erhaltenen Informationen sowie diejenigen, welche aus den verschiedenen von uns durchgeführten Untersuchungen hervorgehen, lassen uns glauben, dass wir einen Beitrag dazu leisten können, dass ältere Menschen in ihrem eigenen Heim bleiben können.
Nun geht es darum, diese Überlegungen weiter voranzubringen und alle Akteure in dem Bereich sowie die pflegenden Angehörigen aufzufordern, an einer gemeinsamen Sicherheitslösung zu arbeiten, die sich mit den Jahren weiterentwickeln kann, so dass die Person in den verschiedenen Lebensabschnitten begleitet, und somit immer auf ihre jeweiligen Bedürfnisse eingegangen werden kann, und sie sich zu Hause SICHER fühlen kann.
*Bundesamt für Statistik BFS. (2020, Mai). Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung in der Schweiz und der Kantone 2020-2050 (Embargo: 28.5.2020, 8h30) Konsultiert unter der Adresse https://www.bfs.admin.ch/bfs/fr/home/statistiques/population/vieillissement.assetdetail.12847543.html
** Jeder, der an Alzheimer erkrankt ist oder unter einer damit verwandten Pathologie leidet (frontotemporale Demenz, Lewy-Körper-Demenz, vaskuläre Demenz, Alkoholdemenz…) und daheim wohnt.